Wann ist eine Stadtentwicklung nachhaltig?

Durch ihre Rolle als Intermediäre wirken Baugemeinschaften in die Stadt hinein und tragen damit zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung bei. Eine bestehende Situation mit hohen Grundstückspreisen, wenig verfügbaren Flächen und der vorherrschenden Praxis in Städten, Grundstücke an Meistbietende zu verkaufen, können Gründe sein, die Baugemeinschaften davon abhalten, ihr Projekt verwirklichen zu können. Die umgesetzten Baugemeinschaften hingegen betreten durch ihre verschiedenen Konzepte innerhalb einer städtischen Entwicklung zum Teil Neuland, die sich als positive Beispiele auf eine allgemeine Wohnungspolitik oder Baulandvergabe an Investor*innen auswirken können. Wir haben in den Interviews die Gruppen befragt, was ihrer Sicht nach ein nachhaltiges Potential ist, dass in ihren Konzepten und in der Umsetzung wichtig ist, ohne jedoch eine klare Definition des Begriffs „nachhaltig“ vorzugeben.

Die Hamburger Agentur für Baugemeinschaften beschreibt, wie Innovationen und Konzepte bei ihnen in die allgemeine Stadtentwicklung mit einfließen können:

„Das Konzeptionelle mit Baugemeinschaften, das machen wir jetzt im regulären Wohnungsbau auch. Dass wir auch Konzeptausschreibungen machen als Stadt. Im Grunde haben wir da ähnliche Kriterien, so wie wir das auch bei Baugemeinschaften machen: Dieses inhaltliche Konzept, das soziale Konzept, das wohnungspolitische Konzept, das architektonische und Mobilitätskonzept und was alles dazugehört.“ (K1)

Ökologische Aspekte

Auch wenn sich dieses Beispiel nicht ohne weiteres auf andere Städte übertragen lässt, zeigt es dennoch, wie die Konzepte und Umsetzungen von Baugemeinschaften Wirkungen zeigen kann. Der Entschluss, etwas gemeinschaftlich zu errichten, geht oft einher mit Ideen, die über den Bereich des Wohnens hinausweisen. „Die waren ja ökologisch immer ganz weit vorn, und die normalen Investoren haben immer hinterhergezogen (K1).“ Mitglieder der Bremer Genossenschaft haben mit anderen aus dem Quartier ein urban gardening Projekt begonnen und in ihrem direkten Umfeld auf einem wenig genutzten Platz dafür einen Raum gefunden. In der Nachbarschaft der „Lucie“, dem urban gardening-Projekt wurde vor kurzem eine KlimaWerkStadt in der Nachbarschaft gegründet, die ohne diese Impulse vielleicht auch an einem anderen Ort in der Stadt sich Räume gesucht hatte, jetzt aber thematisch eine Art „Nachhaltigkeitspotential-Insel“ darstellt, die neu in der Stadt ist.

Leitlinien und Leitbilder für nachhaltige Stadtentwicklung werden oft auf fluide Weise und in Gruppenprozessen ausgehandelt, wie u.a. die Baugemeinschaft 13ha Freiheit zeigt:

„Das war jetzt nie so prägnant wie bei der Umbau-Syndikatsgruppe, dass wir sehr starke Leute hatten, die energetische ökologische Projekte umsetzen wollten. Die hatten wir nicht. Natürlich ist es auch bei einem alten Gebäude wie bei uns, mit über hundert Jahren, wo der Denkmalschutz mitspricht, da können wir keine Wärmedämmung oder innovative Dinge einbauen. Sondern wir müssen diese alte Substanz akzeptieren. Da kam z. B. die Idee auf, dass man mehr ins Wohngesunde hineingeht. Das Wohngesunde hat auch relativ viel Anklang gefunden, das hat sich widergespiegelt in den Fußböden als Riesenfläche. Wir haben rund 2700 qm Fußbodenfläche: die haben wir mit Vollholzeiche verlegen lassen.“ (BG3)

In einer anderen Phase des Prozesses in derselben Baugemeinschaft wird dieser Aushandlungsprozess ebenfalls deutlich:

„Ich kann mich noch an eine relativ lange Diskussionsphase erinnern, wo wir dann auch zum Thema „nachhaltig” diskutiert haben. Und das haben wir eigentlich sehr gut gemacht und sehr intensiv gemacht. Hier war eine intakte Heizungsanlage drin. Die Amerikaner haben viel Geld für Technik ausgegeben. Ich war z.B. vehementer Fürsprecher für die alte Anlage. Aber die alten Anlagen, die waren nicht so schön wie diese neuen, sondern die waren dann übermalt, Stahlrohr, aber geschweißt. Und die alten Heizkörper, zum Teil gußeiserne! Wo ich mich dann schlau gemacht habe bei einem Heizungsbauer, und der meinte, diese alten Dinger, die halten noch Jahrzehnte, da könnt ihr die neuen schon wieder rausschmeißen. Das habe ich versucht, in das Projekt reinzubringen. Da gab’s richtig Diskussionsabende. Wo Leute gesagt haben, ne, die sind jetzt ja dort, und da soll keine Leitung hin, sondern woanders. Und vielleicht sind sie doch nicht mehr so gut und sind dann irgendwo undicht. Ja, und das war eine ganz spannende Zeit. Und dann hat die andere Seite gewonnen, die das gerne neu bekommen wollte.“ (BG3)

Die Brühlpioniere hatten als einzige Baugemeinschaft keine explizit ökologische Ausrichtung. Bei den anderen Fallbeispielen spielte es bei allen eine Rolle. In den KunstWohnWerken, die 2016 beim Preis für Baukultur ausgezeichnet wurden, war eine ökologische Sanierung auch an die Unterstützung durch die trias-Stiftung gebunden. Die bestehende Fassade wurde hochwertig gedämmt. Bei der Genossenschaft in Bremen wiederum waren ökologische Aspekte wichtig und haben auch dazu geführt, dass sie von der Stadt bei der Grundstückssuche zum Teil unterstützt wurden. Manche der umgesetzten ökologischen Bauweisen wurden nicht explizit in Interviews erwähnt, weil sie eine relativ große Selbstverständlichkeit zu haben schienen. 

Soziale Aspekte

Baugemeinschaften übernehmen wichtige gesellschaftliche Funktionen im zivilgesellschaftlichen Bereich. So ist den Mitgliedern der KunstWohnWerke ein wichtiges Anliegen, sich für zukunftsorientierte Arbeits- und Lebensbedingungen für Künstler*innen einzusetzen, das Bunte Haus will zukunftsorientiertes Wohnen sichtbarer werden lassen und ihr Quartier „verjüngen“. Die Brühlpioniere wollen Musiker*innen in der Stadt Räume zur Verfügung stellen, in dem sie ihr kleines Hinterhaus im Hof ausbauen, und in Mannheim bewerben z.T. Investor*innen ihre Häuser mit der Atmosphäre, die durch die ansässigen Baugemeinschaften entstehe. In Bremen und Bad Salzuflen wird der Gemeinschaftsraum auch für Gruppen von außen zur Verfügung gestellt und in Köln die geplante Werkstatt, wenn sie fertig eingerichtet ist.

Eine soziale Ausstrahlung ins Quartier bringt auch Qualitäten mit sich, die weiter ausgebaut und auch bei Konzeptvergaben, sofern sie vorhanden sind, von den Städten mitgeformt werden können.

„Baugemeinschaften stehen einfach für Qualität – Ich glaube, dass sich bundesweit auch noch ein stärkeres Interesse entwickeln wird, weil jetzt auch stellenweise viel Quantitäten umgesetzt werden. Natürlich auch geförderter Wohnraum, also verschiedenen Zielgruppen, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind. Das Qualitätsthema wird zukünftig noch stärker an Bedeutung gewinnen. Und ich kann mir vorstellen, dass sie aufgrund der demographischen Entwicklung noch eine stärkere Bedeutung bekommen können, als Mehrgenerationenwohnen oder Wohnen mit Pflege.“ (K1)

Ein sozialer Aspekt kann sich auch durch die Form der Gemeinschaft im Viertel auswirken.

„Dass sich die Menschen besser im Quartier kennen und mehr Kontakte zustande kommen, ist eine Wirkung von dem Haus hier. Nicht nur die Gemeinschaft im Haus, sondern auch nach außen. Dass wir die Nachbarn zum Grillen einladen. Die erzählen dann auch über uns als Haus.“ (BG6)

So wie die untersuchten Baugemeinschaften den eigenen Gemeinschaftsaspekt als wichtige Motivation beschreiben, entwickeln sie durch ihre Wohn- und Gruppenkonstellationen auch Impulse, die sich in Begriffen wie Gemeinwohl oder commons beschreiben lassen. Die Konzepte, die die Gruppen dabei gefunden haben, wecken Interesse in ihrer Umgebung.

„Also, ich würd’ auf alle Fälle sagen, dass das Konzept mit dem Arbeiten und Wohnen, und gleichzeitig das Genossenschaftliche und die Trennung von Boden und Gebäude – dass das eine Form ist, die die Leute schon wahnsinnig interessiert. Dass das ein Vorzeigeprojekt ist und entsprechend gibt es ja auch diese Preise und die Anfragen an das Projekt.“ BG5

Ökonomische Aspekte

Bei ökonomischen Themen wird deutlich, dass Baugemeinschaften, wenn sie nicht in ihrer Gruppe über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, neue Wege gehen, z.B. in Form von zinslosen Darlehen und Direktkrediten, die außerhalb von Banken eingeworben werden. 

„Wir brauchten Geld. Und niemand von uns hatte Geld. Das heißt, wir brauchten Direktkredite. Wir mussten das „Anlagemodell“ unseres Hauses anbieten und darauf hoffen, dass Leute solidarisch sind oder irgendwie davon hören, Knete reinschießen, die nicht unsere Knete ist, weil niemand aus dem Haus groß Rücklagen hatte oder sehr viel Geld. Das heißt, wir haben schnell einen Flyer gebastelt und probiert, in Läden in der Nähe, auf Demonstrationen, unter Freunden,Bekannten und Arbeitskollegen, Werbung dafür zu machen, dass sie uns Geld geben.“ BG8

Der Tatsache, ein Projekt auch mit weniger finanzstarken Akteur*innen umzusetzen, wohnt auch ein Potential inne, dass eine Interviewteilnehmerin als Rollenveränderung beschreibt, in der sie sich selber anders wahrnimmt, aber auch von anderen anders wahrgenommen wird.

„In Chemnitz ist es so, es gibt eine ganz klare Trennung zwischen denen, die Häuser besitzen und denen, die keine Häuser besitzen. Und wir haben also im Grunde diese Membran durchstoßen mit Leuten, die im Grunde nichts besitzen. Wir hatten ja kein Geld. Oder nicht viel.“ (BG2)

Eine andere Gruppe beschreibt eine ähnliche Situation als Wunsch an die Stadt, in größerem Maße ernstgenommen zu werden.

„Wir wollen auf Augenhöhe mit der Stadt sprechen können- so wie die Investoren.“ (BG5)