Politisch agieren

ID: 1028

Kategorie: Diskussion und Debatte

Akteur*innen-Ebene: Baugemeinschaft

Strategie-Ebene: Gruppe, Governance

Problem: Baugemeinschaften werden von den Kommunen als zu klein oder unbedeutend wahrgenommen. Zudem verfügen selbstorganisierte Projekte über keine öffentlich wahrgenommene starke Stimme, die selbstverständlich in die politischen Bereichen der Stadtentwicklung einbezogen wird.

Kontext: Viele Baugemeinschaften sind im Kontakt mit der Stadt und Verwaltung vor allem mit der Umsetzung ihres Bauvorhabens beschäftigt, also mit der Grundstücksfindung und dem -kauf oder wenn es darum geht, das eigene Konzept anerkannt zu bekommen. Sie nehmen sich aber nicht unbedingt darin als Akteurinnen wahr, die darüber hinausgehend Akzente, die in die Stadtgesellschaft wirken, setzen können. Diese Nicht-Einmischung kann gute Gründe haben, wenn Baugemeinschaften z. B. nicht für politische Versäumnisse die Verantwortung übernehmen wollen. Wenn beispielsweise der Eindruck bei Gruppen entsteht, Baugemeinschaften sollten verpasste Ziele des sozialen Wohnungsbaus umsetzen, kann es auch sinnvoll sein, sich davon abzugrenzen.

Nichtsdestotrotz  kann es auch von Nachteil sein, die eigenen Interessen nicht in einen größeren Zusammenhang zu stellen und in der Öffentlichkeit zu formulieren, denn so wird verhindert, dass eine politische Durchsetzungskraft entsteht. Themen wie Recht auf Stadt, Recht auf bezahlbares Wohnen, der Umgang mit Bodenpolitik und das Schaffen von lebendigen Quartieren werden von Baugemeinschaften oft „nebenbei“ mit angesprochen und hergestellt, ohne dass dies in der öffentlichen Wahrnehmung immer deutlich wird. 

Zum Teil gibt es auch keinen großen Zusammenhalt zwischen einzelnen Akteur*innen von Baugemeinschaften untereinander. Projekte mit unterschiedlichen Eigentumsformen konkurrieren miteinander um Grundstücke und Förderungen und sehen deshalb eher die trennenden Aspekte als gemeinsame Ziele, die sie verbinden. Das Formulieren gemeinsamer Ziele kann aber den entscheidenden Umschwung herstellen, gemeinsam mit anderen als Interessengruppe wahrgenommen zu werden. 

Es gibt Phasen, in der politisches Agieren eine Überforderung darstellt – daher ist es wichtig, es als langfristige Strategie zu sehen. Dazu können öffentliche Veranstaltungen gehören, in der bestehende Projekte vorgestellt werden, Vorträge in Kooperation mit Stiftungen oder Netzwerken von Baugemeinschaften oder Angebote öffentlicher Treffen, bei denen es um gutes Leben in der Stadt oder „Stadt für alle“ gehen kann. Da Veranstaltungen schnell eine Überforderung darstellen können oder zusätzliche Arbeit bedeuten, die neben dem Alltag organisiert werden muss, ist es sinnvoll, die eigenen Kräfte nicht zu sehr überzustrapazieren: kleine Veranstaltungen, zu denen man selber gerne hingehen möchte und die in Kooperation mit anderen entwickelt werden, können die Schwelle herabsetzen. Das kann ein thematischer Filmabend sein, Quartiersgespräche mit Kaffee und Kuchen, Treffen in Projekten, die sich mit Zwischennutzungen, Freiraumgestaltung wie Urban Gardening und ähnlichem beschäftigen. In einigen Städten wächst das Bewusstsein über die Wichtigkeit solcher Initiativen – das heisst, es ist auch möglich, die Stadt mit einzubinden, in dem sie sich mit Sachspenden oder mietfreien Räumen für Veranstaltungen beteiligt. Bietet die Stadt selber Veranstaltungen zum Thema, Wohnen, Verkehr oder anderen Themen der Stadtentwicklung an, ist es auch möglich, sich in Diskussionen einzuklinken und so auf die eigenen Thematiken aufmerksam zu machen.

Lösung: Nehmen Sie ihre Stimme ernst und die Impulse, die Baugemeinschaften allgemein und das eigene Projekt im Speziellen schaffen können. Treten Sie in Kooperation mit anderen Projekten auf und benennen Sie gemeinsame Ziele, die sie verbinden. Organisieren Sie kleine und größere Veranstaltungen in unterschiedlichen Bereichen, die von der Stadtöffentlichkeit wahrgenommen werden und die auch von Baugemeinschaften als Reflexionsraum genutzt werden können. Bleiben Sie nicht alleine mit ihren Themen, sondern suchen Sie sich Mitstreiter*innen. Das Thema Wohnen und Leben in der Stadt betrifft sehr viele Menschen.

Konsequenzen: Baugemeinschaften werden in der Stadtentwicklung auch politisch wahr- und ernstgenommen und verschaffen sich eine hörbare Stimme.

Beispiel: Das Mietshäuser Syndikat-Projekt Wohnopolis in Erfurt unterstützt auf seiner Website einen Offenen Brief an die Stadt zur Immobilienvergabe des Bündnis „Erfurt für alle!“ und wirkte an der Veranstaltungsreihe „Stadt(entwicklung) geht anders!“ mit. Die Baugemeinschaft nimmt das eigene Projekt und die Entstehungsgeschichte zum Ausgangspunkt, um auf wohnungspolitische Themen aufmerksam zu machen. Mitglieder aus der G17 wirken in verschiedenen Stadtteilinitiativen mit und werden von der Nachbarschaft als so aktiv wahrgenommen, dass Menschen aus der Nachbarschaft, als ein Heim für Geflüchtete im Quartier eingerichtet werden sollte, auf die Genossenschaft zugegangen sind, um gemeinsam Strategien für ein gutes Zusammenleben und Unterstützung für die neuen Nachbar*innen anzustoßen. Das erlebte Engagement aus der Vergangenheit führte dazu, dass sich eine Gruppe bildete, die nicht unmittelbar mit dem Projekt zu tun hatte, aber dort Räume für Treffen nutzen konnte.

Verbindung zu Muster:

Baugemeinschaft als Akteurin auf dem Markt

Szenarien für das Projekt entwickeln

Lust auf Gruppenprozesse

Baugemeinschaften als Stadtentwicklungstool

Solidarität in der Gruppe; Unterstützung finanzschwacher Gruppen; Verbündete finden; Leben im Quartier; Konzept verfassen