Partizipateur*innen im Feld

In der Phase der Recherche unser Forschungsarbeit haben wir erste Eindrücke von Baugemeinschaften gesammelt, mit Menschen aus Baugemeinschaften gesprochen und mit Personen und Institutionen aus ihrem Umfeld. Es hat sich ein Feld vielfältiger Akteur*innen vor unseren Augen entfaltet. Unterschiedliche Ansätze von Baugemeinschaften sind uns auf diesem Weg begegnet.

Narrative im Stadtraum

Die Governance-Arenen der Baugemeinschaften mit ihren vielen Akteur*innen und Partizipateur*innen lassen untereinander strukturelle Ähnlichkeiten erkennen. Wenn wir von „Governance-Arenen“ sprechen, meinen wir damit Regelungs- und Steuerungsformen, die nicht nur durch den Staat bestimmt sind („top-down“), sondern auch von weiteren Akteur*innen, die „jenseits und im Austausch mit dieser Sphäre entstehen und ihre Wirkung entfalten“ (Beck, Schnur (2016): Mittler, Macher, Protestierer. Intermediäre Akteure in der Stadtentwicklung). Ihre stadträumlichen Handlungsebenen sind beweglich, durchlässig und besitzen oft eher diffuse Ränder, wie es auch bei Stadträumen vorkommt. Grenzen sind vorhanden, aber beweglich, durchlässig und haben diffuse Ränder. Ein wenig wie eine Stadt, die in Vororten ausläuft, wo nicht mehr klar zu erkennen ist, wo die Stadt aufhört und das Land beginnt.

Städte stellen also einen äußerst dynamischen Raum dar mit vielfältigen Veränderungen, die sie beständig durchlaufen. Das heißt, Stadt ist auch ein Raum, über den viele Geschichten kursieren. Man kann auch sagen „Narrative“, ein Wort das auf das lateinische Wort „narrare“ zurückgeht und erzählen bedeutet. Diese Narrative können Stadträume und ihre Entwicklungen beschreiben. Indem durch Geschichten Bilder beschrieben werden, die erzählen, was alles im Stadtraum geschehen könnte, wenn wir die Gegebenheiten dafür schaffen, werden auch Narrative geschaffen, die im Stadtraum und in ihn hinein wirken. Diese Narrative sehen je nach Perspektive unterschiedlich aus und können lose oder unverbunden nebeneinander stehen oder miteinander verwoben sein. Jemand aus dem Stadtzentrum erzählt vermutlich eine andere Geschichte als jemand vom Stadtrand über die eigene Stadt. Und je nach Blickwinkel verändern sich wiederum die Art der Geschichten. Bewohner*innen haben andere Schwerpunkte als Touristen, Angestellte in der Stadtverwaltung erzählen anders als Architekt*innen. Es gibt verschiedene Perspektiven auf Stadträume oder Teilbereiche in diesen, so können z.B. das eigene Alter und die Dauer, wie lange sich jemand in einer Stadt aufhält oder wohnt, wiederum neue Narrative hervorbringen.

Partizipateur*innen

Deutlich wird in Narrativen über Stadtentwicklung, dass der Raum zu einem eigenen Partizipateur wird. Dieser Begriff unterscheidet sich in seiner Bedeutung von dem Begriff Akteur*innen: Während letztere etwas Aktives verkörpern und das Handeln im Vordergrund steht, ist beim Wort Partizipateur*in die Teilhabe ein wesentlicher Bestandteil. Die Teilhabenden oder Partizipateur*innen beschreiben nicht in erster Linie ein aktives Handeln – sie können auch ein bloßes Dasein beinhalten, dass trotzdem eine Wirkung ausübt. Überträgt man das Bild der Partizipateur*innen auf Baugemeinschaften, heißt das, dass neben Personen auch Momente aus dem politischen Bereich, wie etwa die Bodenpolitik, oder auch Stadtraum-spezifische Faktoren Einfluss auf den Handlungsspielraum von Baugemeinschaften haben.

Die Grafik zeigt eine vorläufige und grobe Einordnung von unseren Assoziationen zu Partizipateur*innen, die im Feld von Baugemeinschaften wirksam sind und ordnet sie ein in eine Verknüpfung mit positiv oder eher negativ eingeschätzten Wirkungen, die wiederum eine starke oder schwache Ausprägung haben können. Diese Wirkungen können je nach Blickwinkel verschieden gesehen werden – es ist also eine Möglichkeit unter vielen.

Baugemeinschaften im Stadtraum

Wir nehmen bei der Recherche Baugemeinschaften in den Blick, die auf privater Ebene oder betreut und unterstützt von professionellen Planungsbüros selbstgenutzten Wohnraum schaffen und diesen baulich gestalten. Darunter sind genossenschaftlich organisierte Baugemeinschaften, oder solche, die sich als Verein, Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder Eigentümergemeinschaften organisiert haben. Sie sind verbunden mit Netzwerken und Stiftungen, die die Aufgabe übernehmen, auf vielfältige Weise Unterstützung in Form von Wissen, Beratungen und auch in finanzieller Form an Baugemeinschaften weiterzugeben.

Baugemeinschaften sind durch diese informellen Organisationsformen schon aktive Stadtproduzent*innen, so unser These. Durch Vernetzungen und die Weitergabe von Wissen untereinander haben sie eine Situation geschaffen, in dem in einem vernetzten – und manchmal auch chaotischen – Rahmen Gestaltung anders läuft, als es sich Stadtplaner*innen „am Reißbrett ausdenken“. Sie handeln in einer anderen Logik als Kommunen. Diese Logik „einfach machen“ und Dinge in die eigenen Hände nehmen.

Die leitenden Ideen, die Baugemeinschaften antreiben, scheinen z.B. ein guter nachbarschaftlicher Kontakt, eine kostengünstige, oft innovative, eigene Wohnraumgestaltung und eine zukunftsfähige Ausrichtung im Sinne eines gemeinwohlorientierten Wohnen und Lebens zu sein, das neben sozialen Aspekten auch ökologische und ressourcenschonende Aspekte berücksichtigt. Sie reagieren damit auf eine Situation, in der es ökonomische Gründe geben kann, sich zusammenzuschließen, soziale, ökologische oder alle in einem Zusammenspiel.

In ersten Gesprächen bei der Kontaktaufnahme konnten wir heraushören, dass es oft den Wunsch gibt, diese drei Grundpfeiler zusammenzubringen (was auch einer gängigen Definition von Nachhaltigkeit entspricht). Manchmal verschieben sich jedoch die Prioritäten dabei. Dies ist auch bei neueren Definitionen von Nachhaltigkeit wichtig, nämlich das Zusammenspiel von Ökologie, Sozialem und Ökonomie zu betrachten und das Ganze als ein System zu verstehen, in dem es verschiedene Prioritäten geben kann. So entschied sich z.B. eine Baugemeinschaft dafür, dass der Fahrstuhl, der das gesamte mehrstöckige Haus für die dort wohnenden Rollifahrer*innen zugänglich macht, wichtiger ist als die Solaranlage auf dem Dach, die sich das Projekt ebenfalls wünscht und setzte den Bau des Fahrstuhls deshalb als erstes um. In diesem Fall, so könnte man sagen, steht eine „individuelle Nachhaltigkeit“ im Vordergrund, in dessen Mittelpunkt die Bewohner*innen der Baugemeinschaft und ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Der Partizipateur, der auch zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beiträgt, ist in diesem Fall das Gemeinwohl einer Gemeinschaft. Und das Gemeinwohl ist, um noch einmal auf die Narrative zurückzukommen, eine Geschichte, die uns und unseren Städten gut tut und deshalb sehr lohnenswert zum Erzählen ist.

Die entscheidende Frage, die sich im Rahmen von nachhaltiger Stadtentwicklung und Impulsen, die Baugemeinschaften dazu liefern, stellt, lautet: Wie wollen wir eigentlich leben? Wie sieht das Wohnen in einer lebenswerten Stadt konkret aus? Wie bewegen wir uns in der Stadt? Auf wen treffen wir dort und mit wem und womit wollen wir dort in Kontakt treten? Und was bewirkt es, wenn wir, statt auf Defizite und Normen, die nachhaltige Kriterien festlegen, zu achten, erzählte Geschichten von und über Baugemeinschaften auf ihre Potentiale hin ausleuchten? Wir glauben, dass darin viel Kraft und gelingende Muster im Sinne einer Mustersprache, wie sie Christopher Alexander in A Pattern Language (1977) beschreibt, innewohnen können. In dem erwähnten Beispiel mit der Entscheidung Fahrstuhl vor Solaranlage einbauen, könnte z.B. das Muster „Abwägungsprozesse“ sein, das beschreibt, welche Nachhaltigkeitsideale bestehen können und wie Baugemeinschaften damit bei der Umsetzung umgehen.